Mordmerkmal niedriger Beweggrund
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat verdeutlicht, wann das Mordmerkmal niedriger Beweggrund vorliegt und wie man diesen Tatbestand prüft, BGH Beschl. v. 17.4.2024 – 1 StR 92/24.
Der Angeklagten wurde in erster Instanz wegen versuchten Mordes zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Die Entscheidung war fehlerhaft.
Urteil des Landgerichts
Bei der Annahme niedriger Beweggründe wurde weder der zutreffenden rechtlichen Maßstab zugrunde gelegt, noch seine Wertungen ausreichend mit Tatsachen belegt.
Sachverhalt
Nach den Feststellungen trennte sich der Angeklagte im Juli 2022 von seiner Ehefrau, nachdem diese sich einem neuen Partner zugewandt hatte. Das Landgericht sah darin das Mordmerkmal niedriger Beweggrund. Wütend und verletzt zugleich zog der Angeklagte aus dem gemeinsam bewohnten aus. In den darauffolgenden Monaten bis hin zum Tattag verärgerte den Angeklagten zunehmend, dass seine Ehefrau mit dem gemeinsamen Sohn und ihrem neuen Partner nun in dem von ihm renovierten Haus lebte. Sie beanspruchte zudem das größere Auto für sich. Der Angeklagte musste sich mit dem kleinen Auto zufrieden geben.
Äußerungen des Angeklagten über Tötungsgedanken betreffend den Geschädigten gegenüber einem Arbeitskollegen führten Ende März 2023 zu einer Gefährderansprache durch die Polizei. In deren Rahmen wurden ihm Handlungsalternativen in Bezug auf seine Probleme mit der Trennung aufgezeigt.
Am 2. April 2023 überkamen den Angeklagten jedoch erneut und gesteigert Wut und Ärger. Der Angeklagte entschloss sich, dieser Situation nun ein Ende zu setzen. Er wollte sowohl den VW Caddy, als auch das Haus in Brand zu setzen. So hatte der Angeklagte entschieden, dass für ihn das Ende der Welt gekommen war. Ihn ärgerte, dass seine Ehefrau mit dem Geschädigten nun in seinem Haus lebte. Ob er selbst oder Dritte dabei sterben würden, war ihm gleichgültig.
Urteil des Landgerichts
Das Schwurgericht hat das Mordmerkmal niedriger Beweggrund darin gesehen, dass der Angeklagte bei der Tat seinen Ärger und seine Missgunst über die Leben seiner Ehefrau und deren neuen Lebenspartner gesetzt habe und ihm auch das Schicksal der im Haus anwesenden Kinder egal gewesen sei.
Urteil des BGH
Die Verurteilung des Angeklagten wegen versuchten Mordes aus niedrigen Beweggründen begegnet war falsch.
Begründung:
Das Schwurgericht hat nicht erwogen, ob für den Angeklagten weitere Tatmotive handlungsleitend waren.
Es lagen hier schlichtweg keine niedrigen Beweggründe vor.
Niedrige Beweggründe
Beweggründe im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB sind niedrig, wenn sie nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und deshalb besonders verachtenswert sind. Die Beurteilung der Frage, ob Beweggründe zur Tat niedrig sind und als verachtenswert erscheinen, erfordert eine Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren.
Gefühlsregungen
Gefühlsregungen wie Zorn, Wut, Enttäuschung oder Verärgerung können niedrige Beweggründe sein, wenn sie ihrerseits auf niedrigen Beweggründen beruhen. Die Gefühlregungen dürfen also nicht menschlich verständlich sein, sondern müssen Ausdruck einer niedrigen Gesinnung des Täters sein.
Entbehrt indes das Motiv ungeachtet der Verwerflichkeit, nicht jeglichen nachvollziehbaren Grundes, so ist es nicht als „niedrig“ zu qualifizieren. Auch die Tötung des Intimpartners, der sich vom Täter abwenden will oder abgewendet hat, muss nicht zwangsläufig als durch niedrige Beweggründe motiviert bewertet werden. Gerade der Umstand, dass eine Trennung vom Tatopfer ausgegangen ist, darf als gegen die Niedrigkeit des Beweggrundes sprechender Umstand beurteilt werden.
Hauptmotiv auf tiefster Stufe
Beim Vorliegen eines Motivbündels beruht die vorsätzliche Tötung auf niedrigen Beweggründen, wenn das Hauptmotiv, welches der Tat ihr Gepräge gibt, nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe steht und deshalb verwerflich ist.
Die Beurteilung der Frage, welches Motiv handlungsleitend für die Tötung des Opfers war, setzt eine Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren voraus.
Diesen Anforderungen an eine vollständige Gesamtwürdigung wird das Landgericht nicht gerecht; es lässt für das Geschehen maßgebliche Umstände außer Acht.
Das Schwurgericht hat die zugrunde gelegten Motive der Wut, der Bestrafung sowie der Rache wegen der Trennung und der Vermögensaufteilung weder hinreichend beweiswürdigend unterlegt noch widerspruchsfrei dargelegt. Die Gesamtwürdigung greift zu kurz. Es wird nicht ersichtlich, weshalb die angenommenen Motive des Ärgers und der Wut ihrerseits auf einer niedrigen Gesinnung beruhen. Dies versteht sich angesichts der festgestellten Umstände nicht von selbst. Denn das Schwurgericht geht auch davon aus, der Angeklagte sei mit der Situation überfordert gewesen ist. Dazu fügen sich der anschließende Suizidversuch und das Nachtatverhalten des Angeklagten, welches das Schwurgericht in seine Würdigung einbezieht. Vor diesem Hintergrund hätte sich das Schwurgericht nicht mit der Erwägung begnügen dürfen, der Angeklagte habe ohne Rücksicht auf Dritte und sich selbst gehandelt und seinen Ärger über das Leben unbeteiligter Dritter gestellt. Es hätte vielmehr erörtern und mit Tatsachen unterlegen müssen, aus welcher Motivation heraus dies geschah. Nur wenn das zugrundeliegende Motiv seinerseits als niedrig zu bewerten ist, liegen niedrige Beweggründe vor. Insoweit hat das Schwurgericht nicht hinreichend erkennbar erwogen, ob für den Angeklagten weitere Tatmotive, die für sich genommen nicht auf sittlich niedrigster Stufe stehen, handlungsleitend waren.
Hinweise für die Praxis:
Auch hier gilt wie immer in einem Strafprozess, dass der Verteidiger sich mit dem Sachverhalt bis ins kleinste Detail auseinandersetzt. Man muss nicht immer auf Freispruch verteidigen. Oft erreicht man gute Ergebnisse, wenn man die Hintergründe der Tat durchleuchtet. Was waren die Motive? Aus welchem Grund wurde welche Tat begangen? Wurden alle Beweise, die zugunsten des Mandanten sind in die Hauptverhandlung eingeführt oder nicht. Wurden die belastenden Beweise richtig gewürdigt? Glücklicherweise konnte in diesem Fall ein Rechenfehler durch den BGH korrigiert werden. Es macht im Ergebnis mehrere Jahre Freiheitsstrafe aus, ob man wegen Mord oder Totschlag verurteilt wird.