Schwere körperliche Misshandlung, § 177 Abs. 8 Nr. 2a StGB
Anforderungen an das Qualifikationsmerkmal schwerer körperlicher Misshandlung bei einer Vergewaltigung und an deren Nachweis
BGH, Urteil vom 29. Oktober 2024 – 1 StR 276/24
Das Landgericht hat eine besonders schwere Misshandlung gemäß § 177 Abs. 8 Nr. 2a StGB nicht festgestellt.
Die Staatsanwaltschaft hat gegen diese Entscheidung Revision eingelegt. Der BGH hat die Entscheidung des Landgerichts aufgehoben.
I. Sachverhalt
Am 27. April 2022 nahm die Nebenklägerin mit ihrem Partner an einer Zusammenkunft im Bereich einer Obdachlosen- und Asylbewerberunterkunft teil, in der sowohl der Angeklagte als auch der Zeuge K. lebten. Sie konsumierte dabei eine größere, nicht näher bestimmbare Menge Whisky-Eistee-Mischung. Nachdem ihr Freund die Örtlichkeit verlassen hatte, tauschte sie mit K. Zärtlichkeiten aus. Auf Initiative des später dazu gestoßenen Angeklagten begleiteten die Geschädigte und K. diesen auf sein Zimmer in der genannten Unterkunft.
Dort tranken alle drei Alkohol und rauchten Marihuana. Die Nebenklägerin und K. nahmen ferner eine Ecstasy-Tablette zu sich.
Als sich K. und die Geschädigte auf das Bett gelegt hatten und dort weitere Zärtlichkeiten austauschten, entschloss sich der Angeklagte, der erkannt hatte, dass die Nebenklägerin infolge ihres Konsums von Alkohol und Ecstasy zur Bildung sowie zur Äußerung eines Willens nur stark eingeschränkt in der Lage war, diesen Umstand zur Durchführung sexueller Handlungen auszunutzen.
Er zog der bäuchlings auf dem Zeugen K. liegenden Geschädigten Hose sowie Unterhose aus und führte zunächst eine Faust in ihren After ein, wodurch Kot austrat und die Geschädigte ein Hämatom an der Afteröffnung mit einem Durchmesser von vier bis fünf Zentimeter sowie eine Schürfung der Analmanschette erlitt. Als der durch die Exkremente beschmutze K. das Zimmer verlassen hatte, um sich zu säubern, führte der Angeklagte seine Faust tief in die Vagina der Geschädigten ein. Die Nebenklägerin erlitt hierdurch neben einer Schürfung am Scheideneingang zwei Vaginalrisse, die genäht werden mussten. Einer davon betraf die rechte Scheidenwand. Er war drei bis vier Zentimeter lang und einen halben Zentimeter tief. Der zweite Riss reichte bis zum hinteren Scheidengewölbe und war fünf bis sechs Zentimeter lang sowie einen halben Zentimeter tief.
Die Geschädigte musste wegen dieser Verletzungen bis zum 1. Mai 2022 stationär behandelt werden und war sechs Wochen krankgeschrieben. Sie ist von dem Geschehen psychisch stark beeinträchtigt und musste sich deshalb einer psychologischen Behandlung unterziehen.
Urteil des Landgerichts
Das Landgericht hat das Tatgeschehen als Vergewaltigung gemäß § 177 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 6 Satz 2 Nr. 1StGB gewertet. Eine besonders schwere Vergewaltigung gemäß § 177 Abs. 8 Nr. 2a StGB hat die Strafkammer nicht festgestellt. Der BGH hob das Urteil auf.
II. Begründung des BGH
Das Qualifikationsmerkmal der Vergewaltigung setzt gemäß § 177 Abs. 8 Nr. 2a StGB eine gravierende Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens voraus. Dabei muss die körperliche Integrität des Opfers in einer Weise verletzt werden, die mit erheblichen Schmerzen verbunden ist. Die insoweit zu stellenden Anforderungen dürfen nicht zu niedrig angesetzt werden.
Die Würdigung des Landgerichts greift zu kurz. Denn es hat überspannte Anforderungen an die Überzeugungsbildung gestellt.
Im Ansatz zutreffend geht die Strafkammer zwar noch davon aus, dass angesichts der festgestellten Verletzungen erhebliche Schmerzen des Opfers wahrscheinlich waren, verstellt sich im Anschluss jedoch den Blick darauf, dass der Nachweis solcher nicht zwingend gebietet, dass sich die Geschädigte hieran erinnern kann. Denn dies würde den Qualifikationstatbestand des § 177 Abs. 8 Nr. 2a StGB leerlaufen lassen.
In den Fällen, in denen sich das Opfer bei der Tat substanzinduziert in einem Zustand nach § 177 Abs. 2 Nr. 2 StGB befand, treten in der Regel Erinnerungslücken auf. Das Tatgericht ist in solchen Fällen gehalten, gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines Sachverständigen anhand einer sorgfältigen Würdigung der festgestellten Verletzungen und der konkreten Tathandlung zu entscheiden, ob eine schwere körperliche Misshandlung im Sinne des § 177 Abs. 8 Nr. 2a StGBgegeben ist.
Das Landgericht hätte vor diesem Hintergrund insbesondere in den Blick nehmen müssen, dass die Nebenklägerin noch am Tag nach der Tat so starke Schmerzen im Scheidenbereich verspürte, dass eine Untersuchung nur unter Narkose möglich war und das anale Einführen einer Faust im Regelfall mit großen Schmerzen verbunden ist. Soweit die Strafkammer ausgeführt hat, der Zeuge K. hätte keine Schmerzensbekundungen der Nebenklägerin wahrgenommen, ist dieses Argument schon deswegen nicht hilfreich, weil dieser nur während eines Teils des Tatgeschehens anwesend war.