Schwere körperliche Misshandlung, § 177 Abs. 8 Nr. 2a StGB
Die schwere körperliche Misshandlung ist ein Qualifikationsmerkmal der Vergewaltigung nach § 177 Abs. 8 Nr. 2a StGB. Sie führt zu einer deutlich höheren Strafandrohung, wenn das Opfer durch die Tat gravierend beeinträchtigt wird.
Der BGH hat mit Urteil vom 29.10.2024 (1 StR 276/24) die Anforderungen an den Nachweis dieser Qualifikation konkretisiert.
Sachverhalt
Eine Frau konsumierte gemeinsam mit ihrem Partner, dem Angeklagten und einem weiteren Zeugen Alkohol, Marihuana und Ecstasy in einer Unterkunft. Als sie stark beeinträchtigt war, nutzte der Angeklagte ihre eingeschränkte Fähigkeit zur Willensbildung aus und nahm sexuelle Handlungen vor:
- Er führte seine Faust in den After des Opfers ein → Hämatom und Schürfungen.
- Danach führte er seine Faust in die Vagina ein → zwei tiefe Vaginalrisse, die im Krankenhaus genäht werden mussten.
- Die Geschädigte wurde stationär behandelt, war sechs Wochen krankgeschrieben und musste sich psychologisch betreuen lassen.
Das Landgericht verurteilte den Angeklagten wegen Vergewaltigung (§ 177 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 StGB).
Eine schwere körperliche Misshandlung (§ 177 Abs. 8 Nr. 2a StGB) stellte es nicht fest.
Die Staatsanwaltschaft legte Revision ein – mit Erfolg.
Entscheidungsgründe des BGH
Der BGH hob das Urteil auf, weil das Landgericht zu hohe Anforderungen gestellt hatte.
1. Maßstab
- Eine schwere körperliche Misshandlung liegt vor, wenn die körperliche Integrität des Opfers massiv verletzt wird und erhebliche Schmerzen entstehen.
- Der Nachweis darf nicht davon abhängig gemacht werden, dass das Opfer sich an die Schmerzen erinnert.
2. Fehler des Landgerichts
- Das LG stellte zwar Verletzungen fest, verlangte aber subjektive Schmerzbekundungen des Opfers.
- Da die Geschädigte unter Alkohol- und Drogeneinfluss stand, konnte sie sich an Teile des Geschehens nicht erinnern.
- Damit hätte nach Ansicht des LG keine „schwere körperliche Misshandlung“ vorgelegen.
3. Bewertung des BGH
- Diese Sichtweise ist falsch, da sie den Qualifikationstatbestand leerlaufen lässt.
- Erinnerungslücken sind gerade bei Betäubungsmittelkonsum häufig.
- Entscheidend ist eine objektive Würdigung der Verletzungen und Tathandlungen – ggf. unter Hinzuziehung von Sachverständigen.
4. Relevante Umstände im Fall
- Notwendigkeit einer Narkoseuntersuchung wegen starker Schmerzen am Folgetag.
- Tiefe Vaginalrisse und Schürfungen im Intimbereich.
- Faustpenetration in After und Vagina → in aller Regel mit erheblichen Schmerzen verbunden.
Bedeutung der Entscheidung
Der BGH präzisiert:
- Objektive Verletzungen können den Nachweis einer schweren Misshandlung tragen.
- Erinnerungslücken des Opfers entkräften den Qualifikationstatbestand nicht.
- Gerichte müssen eine Gesamtbetrachtung vornehmen, notfalls durch medizinische Gutachten.
Der Tatbestand – einfach erklärt
§ 177 StGB – Vergewaltigung mit Qualifikation durch schwere körperliche Misshandlung:
- Grundtatbestand (§ 177 Abs. 2): sexuelle Handlung gegen den erkennbaren Willen oder bei Willensunfähigkeit.
- Qualifikation (§ 177 Abs. 8 Nr. 2a): Opfer wird dabei schwer körperlich misshandelt, d. h. gravierende Verletzungen und erhebliche Schmerzen.
- Strafrahmen: mindestens 5 Jahre Freiheitsstrafe, in besonders schweren Fällen bis zu 15 Jahren.
Ratschläge für Beschuldigte
Wenn eine Vergewaltigung mit Qualifikation im Raum steht, drohen extrem hohe Strafen. Wichtig ist:
- Schweigen: Keine Angaben ohne anwaltliche Beratung.
- Akteneinsicht: Nur ein Strafverteidiger kann Verletzungen, Gutachten und Tatabläufe rechtlich prüfen.
- Tatbestand genau prüfen: Ob tatsächlich eine „schwere körperliche Misshandlung“ vorliegt, hängt von medizinischen und juristischen Kriterien ab.
- Revision prüfen: Wie das Urteil zeigt, können fehlerhafte Maßstäbe zur Aufhebung führen.
Häufige Fragen zur schweren körperlichen Misshandlung bei Vergewaltigung
Was gilt als „schwere körperliche Misshandlung“?
Gravierende Verletzungen, die mit erheblichen Schmerzen verbunden sind, z. B. tiefe Risse, Knochenbrüche oder massive innere Verletzungen.
Muss das Opfer Schmerzen schildern?
Nein. Entscheidend ist die objektive Bewertung der Verletzungen. Erinnerungslücken stehen der Annahme nicht entgegen.
Welche Strafe droht?
Mindestens 5 Jahre Freiheitsstrafe. Bei besonders schweren Fällen bis zu 15 Jahre.
Warum hat der BGH das Urteil aufgehoben?
Weil das Landgericht subjektive Schmerzangaben verlangte und objektive Befunde nicht ausreichen ließ.
